Gemälde des Johannes Duns Scotus aus dem Schwazer KlosterJohannes Duns Scotus

geb. 1265/66 in Duns in Schottland; Johannes besuchte die Schule der Franziskaner und trat mit 15 Jahren dem Orden bei. Er studierte Theologie in Oxford empfing 1291 die Priesterweihe. 1293-1296 Studium in Paris und Oxford; Dr. theol. Danach lehrt er als Bakkalaureus in Cambridge und Oxford (1297-1301), dann in Paris (1202-1203) und schließlich in Köln. Johannes entwickelte die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä. Er starb am 8. November 1308 in Köln. Johannes gilt als der scharfsinnigste Denker des Mittelalters. Am 6. Juli 1991 wurde mit dem Dekret "Qui docti fuerint" seine Verehrung anerkannt. Am 20. März 1993 wurde Johannes Duns Scotus seliggesprochen.

Gedenktag: 8. November


 

Aus dem Traktat „Ordinatio

Über das Wesen und die Einzigartigkeit der göttlichen Liebe (Caritas)

Die Tugend der göttlichen Liebe ist ein Verhalten, durch das Gott geliebt wird. Gott könnte mit einer ausschließenden Liebe geliebt werden, bei der der Liebende keinen Partner haben möchte (wie Eifersüchtige ihre Frauen lieben). Aber diese Haltung wäre ungeordnet, und unvollkommen.

Sie ist ungeordnet, weil Gott das Gut aller ist und nicht will, dass ein Einzelner sich dieses als privates Gut aneignet. Nach rechtem Verständnis darf sich niemand dieses Gut, das für alle da ist, aneignen wollen. Jene Liebe also, die dieses Gut als ein Eigentum erstrebt, das kein anderer mitlieben und mitbesitzen darf, wäre ungeordnet.

Sie wäre auch unvollkommen, weil die vollkommene Liebe wünscht, dass der Geliebte geliebt wird. Gott, der der Seele den Wunsch eingießt, in einer geordneten und voll­kommenen Weise zu ihm zu streben, schenkt uns also eine Haltung, durch die er geliebt wird als einer, der auch von anderen geliebt werden soll.

Wie jene Haltung den Menschen bewegt, Gott in einer geordneten und vollkommenen Weise zu lieben, so weckt die in ihm den Wunsch, dass Gott nicht nur von ihm selbst, sondern auch von jedem anderen Menschen, mit dem er freund­schaftlich verbunden ist, geliebt wird.

So wird deutlich, dass die Tugend der göttlichen Liebe etwas Einzigartiges ist. Denn sie richtet ihr Begehren erstens nicht auf mehrere Gegen­stände, sondern ihr erstes Ziel ist allein Gott, der in sich das erste Gut ist. Dann will si e, dass er von jedem geliebt und durch die Liebe zu eigen wird, wie er sich ist. Denn dies ist die vollkommene und geordnete Liebe. Wer so li ebt, liebt sich und den Nächsten mit der Tugend der göttlichen Liebe , indem er für sich und den anderen Gott, wie er in sich ist, erstrebt und durch Liebe besitzen will.

Es ist somit offensichtlich dasselbe Verhalten, das mich Gott lieben lässt und den Wunsch in mir weckt, dass er von dir geliebt wird. Diese Liebe entspringt der Tugend der göttlichen Liebe; denn aufgrund dieser Liebe wünsche Ich für dich das Gute, das dir rechtmäßig zusteht. Und aus diesem Grund darf man den Nächsten nicht als zweites Ziel der Liebe betrachten, sondern als ein Ziel, das ganz und gar miteinbezogen ist, nämlich als einen, der fähig ist, den Geliebten vollkommen und in der rechten Weise mit mir mitzulieben. Ich liebe ihn deshalb, dass er mitliebt. Ich liebe Ihn gleichsam als einen, der miteinbezogen ist, d. h. nicht um seiner selbst willen, sondern wegen des Gegenstandes meiner Liebe, den er mit mir mitlieben soll. Da ich wünsche, dass dieser von ihm geliebt wird, wünsche ich ihm zugleich das Gute, das ihm rechtmäßig zukommt.

* Lib. III, d. 28 q. un. n. 2-3; Opera omnia, ed. Vivés XV 378b-379b.